Gemeinderatssitzung am 23. Oktober – wie haben wir abgestimmt? Statements der Fraktion Grüne/Neue Köpfe

Das Aktionsprogramm der Stadt Bruchsal gegen Insektensterben und Artenverlust (TOP Ö6) wurde einstimmig beschlossen, Bekenntnisse pro Artenschutz kamen von allen Fraktionen. Wir werden allerdings erst feiern, wenn neben den Zielen und Maßnahmen auch die erforderlichen Mittel dieselbe begeisterte Zustimmung gefunden haben: Eine zusätzliche Stelle zur Umsetzung des Programms plus 50.000 Euro Sachmittel/Jahr werden zusammen mit dem Haushalt abgestimmt. Dazu Peter Garbe (Neue Köpfe):

„Frau Oberbürgermeisterin, Kolleginnen und Kollegen des Gemeinderats,

Grüne und Neue Köpfe stimmen dem vorgelegten Aktionsprogramm gegen Insektensterben und Artenverlust zu. Eine zusätzliche Personalstelle und jährlich 50.000 Euro für die Umsetzung des Aktionsprogramms halten wir für sachgerecht.

Warum stimmen wir dem Aktionsprogramm zu – weil wir es für notwendig halten!

Spätestens seit der Krefelder Studie von 2017, die einen 75 %igen Verlust von Fluginsekten in Naturschutzgebieten belegt, haben wir es Schwarz auf Weiß: Unsere Insekten verlassen uns. Ein brandaktuelle Studie schlägt in die gleiche Kerbe: Flächendeckender Rückgang von Schmetterlingen in Baden-Württemberg! Was soll man sagen – haben wir schon geahnt, aber trotzdem schockierend. Das ökologische System ist gekippt, in Baden-Württemberg möglicherweise bereits vor 20 Jahren. Ein
Hoffnungsschimmer bietet die Studie: Es sind nur wenige Arten ausgestorben.

Was können wir als Kommune tun, was müssen wir als Kommune tun?

Die Musik für eine stärkere Ökologisierung der Landwirtschaft spielt zunächst in Brüssel und in den Bundesländern. In der aktuellen Fortschreibung der Gemeinsamen Agrarpolitik wird es dafür leider nicht mehr Geld geben. Was es geben wird ist die Option, mehr Gelder von der Basis-Flächen-Prämie in die Förderung von ökologischen Maßnahmen in der Landwirtschaft zu schichten. Ziel hier nach gängiger Expertenmeinung: zusätzlich zu den 5 % bereits verpflichtender Extensivierungsmaßnahmen
weitere 10 % freiwillige, finanziell geförderte ökologische Maßnahmen. Es gilt hier Klotzen, nicht Kleckern.

Und jetzt kommt die Aufgabe der Kommune: Einerseits durch eine kluge Eingriffsregelung effizente Kompensationsmaßnahmen für den vorhabenbezogenen Naturschutz durchführen und andererseits im vorsorgenden Naturschutz Leitplanken setzen – wie dem vorgelegten Aktionsprogramm, an dem sich Naturschutzverbände und Landwirtschaft orientieren können. Knackpunkt aller Bemühungen bleibt allerdings der Flächenverbrauch.

Und im Sinne der Sache: Mehr denn je halten Grüne und Neue Köpfe die Rekonstruktion eines Umweltamtes in der Stadt Bruchsal für sinnvoll – mit eigenständigen Beiträgen zum Umwelt- und Naturschutz. Vielen Dank!“

Bei TOP Ö8 ging es um die Einleitung eines Änderungsverfahrens zum Flächennutzungsplan 2025 und dabei zunächst um ein Bruchsaler Votum für den Gemeinsamen Ausschuss der Verwaltungsgemeinschaft Bruchsal, Forst, Hambrücken und Karlsdorf-Neuthard. Alleine für Bruchsal soll der Flächennutzungsplan an acht Stellen gerändert werden – z.B. weil die Gemeinde inzwischen die Option für ein Baugebiet wünscht, wo der 2011 verabschiedete Flächennutzungsplan kein Baugebiet vorsah.

Unter den beantragten acht Bruchsaler Änderungen sind Vorhaben, die wir ablehnen, wir haben also gegen das Gesamtpaket gestimmt. Es fand dennoch eine Mehrheit im Gemeinderat. Dazu Dr. Hartmut Schönherr (Neue Köpfe):

„Ich möchte nicht alle Lippenbekenntnisse zur Flächenschonung zitieren, die regelmäßig auf allen politischen Ebenen, von den Kommunen bis zum Bund, abgegeben werden. Aber Fakt ist, dass wir weiterhin in Deutschland über 50 Hektar am Tag für Siedlung, Gewerbe und Verkehr neu beanspruchen. Flächen, die der Landwirtschaft, der Biodiversität, dem Erholungsanspruch und der CO2-Bindung verloren gehen.

Schauen wir in den vorgelegten Änderungskatalog zum FNP 2025, so reiben wir uns die Augen. Hambrücken hat gerade ein Neubaugebiet ausgewiesen, Im Brühl, Gesamtfläche 8,37 Hektar. Und nun steht ein weiteres Neubaugebiet, bzw. die vorsorgende Flächenausweisung dafür, auf der Tagesordnung, 7,3 Hektar in Löhl/Hungerbühl. Ausgewiesen wird in der Bedarfsberechnung, dass Hambrücken mit „Im Brühl“ und unbebauten Restgrundstücken anderer Neubaugebiete über den Bedarf bis 2030 hinaus einen Baugebietsüberhang von 3,3 Hektar habe. Und dennoch werden weitere 7,3 Hektar am Ortsrand schon mal vorsorgend eingestellt. Obgleich innerörtlich noch große Freiflächen vorhanden sind. Da können wir nur den Kopf schütteln.

Aber wir müssen uns auch an der eigenen Nase packen beim Kopfschütteln. Mit den Bruchwiesen Nord wollen wir die Voraussetzungen schaffen für ein weiteres Bruchsaler Gewerbebiet. Und auch für den Wohnbereich sind einige Neuansprüche eingestellt, so Eggerten Südost und Südstadt. Begründet wird dies damit, dass hier ökologisch vorteilhafter als in anderen bereits eingestellten potentiellen Wohnbauflächen entwickelt werden könne. Herausgenommen wird jedoch von den problematischeren Außenbereichsflächen nichts, mit dem Verweis auf die Selbstverpflichtung der Stadt Bruchsal zur Innenentwicklung. Die werde schon dafür sorgen, dass ökologisch sinnvoll in Zukunft gehandelt wird. Dieses Vertrauen haben wir nicht.

Denn grundsätzlich wird mit dem Bedarf argumentiert. Und dieses Argument gilt sakrosankt. Den Bedarf an Gewerbe- und Wohnflächen nicht unmittelbar zu befriedigen, würde Entwicklung behindern, so wird uns oft vorgehalten. Doch bekanntlich ist die unmittelbare Bedarfsbefriedigung nicht förderlich, um Kreativität, intelligente Lösungen und nachhaltige Entwicklung zu gestalten. Schauen wir uns die Gewerbebauten der vergangenen Jahrzehnte an, so sehen wir weiter wie bisher Flächenverschwendung, z.B. mit flach gebauten Supermärkten und ihren gigantischen Parkflächen, die nachts im Neon funkeln. Und wir sehen daneben Leerstände und Unternutzungen im Gewerbegebiet. Aber so lange der Bedarfsfetisch regiert werden wir diese flachen Supermarkthallen bekommen, werden wir zugepflastert mit Lagerhallen, die dafür sorgen, dass wir 100te verschiedener Wasser- und Biersorten aus ganz Europa und dem Rest der Welt trinken können, während uns das Grundwasser knapp wird. Unter anderem wegen der Versiegelungen.

Auch wenn die Vorlage einige Punkte enthält, denen wir zustimmen können und zugestimmt haben, stimmen wir gegen die Vorlage als Bündel. Und wir hoffen, damit einen Beitrag zur Ideenentwicklung in der Flächennutzung zu leisten. Es gibt ja bereits Städte, da entsteht z.B. auf Supermarktflachdächern Wohnraum.“

Mit TOP Ö10 und Ö11 standen Änderungen in den Gesellschaftsverträgen der städtischen Tochtergesellschaften Bruchsaler Wohnungsbaugesellschaft mbH und Bruchsaler Tourismus, Marketing und Veranstaltungs GmbH (BTMV) an, die der Rat ohne Gegenstimmen verabschiedete. Dazu Ruth Birkle (Grüne):

„Wir begrüßen die Änderungen in den Gesellschaftsverträgen.

Die Veränderung der Haftung nun auch für uns Stadträtinnen und Stadträte war längst fällig. Die Vertreter der Gemeinde in den Aufsichtsräten der Tochtergesellschaften waren schon im alten Vertrag nach Gemeindeordnung (GO)104/4 abgesichert. Stadträtinnen und Stadträte wurden jedoch nach dem Aktienrecht eingestuft, obwohl sie ehrenamtlich tätig waren und sind und ihre Entschädigung dementsprechend gering. Jetzt haftet im Ernstfall die
Gemeinde, solange Aufsichtsratsmitglieder nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig handeln.

Genauso wichtig ist aber auch die nun endlich offizielle Erlaubnis, Informationen an die Fraktion weiter zu geben. Jetzt haben wir legal die Möglichkeit, uns auszutauschen und zu beraten. Tatsächlich kommt das der Intention der GO näher, als die bis jetzt geforderte Schweigepflicht nach Aktienrecht. In § 103, 1.3 GO heißt es: „Die Gemeinde darf ein
Unternehmen in einer Rechtsform des privaten Rechts nur errichten (…) oder sich daran beteiligen, wenn die Gemeinde einen angemessenen Einfluss, insbesondere im Aufsichtsrat des Unternehmens erhält.“

Sicher ist angemessen interpretierbar: Aber wenn nur ein kleiner Teil des Gemeinderats in einem Aufsichtsrat vertreten ist und dieser Teil Informationen zurückhalten muss, ist es fraglich, ob das angemessen ist.

Angemessen ist auf jeden Fall, die Aufsichtsräte jetzt nach der GO einzustufen und nicht nach dem Aktienrecht: Auch die Tochtergesellschaften sind an die Gemeindeordnung gebunden und auch damit privaten Unternehmen nicht gleichzusetzen.

Ich gehe davon aus, dass sich an der Arbeit in den Aufsichtsräten nichts ändern wird – beruhigend ist die Neufassung jedoch trotzdem.“

Und unsere stetig wiederholten Hinweise auf öko-faire Beschaffung? Bei TOP Ö4 ging es um die Ausstattung des neuen Feuerwehrhauses, die Verwaltung wurde beauftragt, die Ausschreibungsverfahren zu starten. Dazu Ursula Häffner (Grüne):

„Wir stimmen der Vorlage zu, bitten aber darum, bei der Beschaffung Nachhaltigkeitskriterien stark zu gewichten, wo immer das möglich ist – dabei denken wir z.B. an die Posten Möbel und EDV. Stichworte sind emissionsarme und energieeffiziente Geräte bei der EDV-Ausstattung, PVC-freie, recyclingfähige Möbel mit Zertifikaten wie Blauer Engel bzw. FSC bei Holzmöbeln.“

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